EU-Abgeordnete im Visier der Lobbyisten

Konkurrenz für die Plagiatsjäger auf Doktoren. Eine neue Plattform wurde geboren - Lobbyplag!

Nachdem die Plagiatsjäger einer ganzen Anzahl von prominenten Doktoranden aus der Politik nachgewiesen haben, daß sie beim Abfassen ihrer Dissertationen betrogen haben, verloren diese nach eingehenden Prüfungen durch die jeweiligen Universitäten ihren heißgeliebten Doktortitel. Nun wird das Ganze ja immer sowohl von Betroffenen, als auch mit den Betroffenen sympathisierenden Menschen als Petitesse dargestellt. Fakt ist jedoch; ein Doktorant hat gegenüber einem Nichtdoktoranden den unbestreitbaren Vorteil, daß er mit einem Doktortitel versehen, als angehender Beamter des höheren Dienstes eingestuft und am Anfang nach A13 besoldet wird. Wenn das mal kein Vorteil ist.

Aber weg von den Doktorplagiatoren hin zum europäischen Parlament: wie schon oben erwähnt, es gibt eine neue Plattform für Plagiatsjäger und die heißt LOBBYPLAG. Diese Plattform wurde gegründet von Richard Gutjahr und OpenDataCity. Gutjahr hat Politik und Kommunikations-Wissenschaften studiert. Er arbeitet zur Zeit als freier Mitarbeiter in der Chefredaktion des Bayerischen Fernsehens, ist als Reporter für die ARD tätig und moderiert nebenbei die Spätausgabe der Rundschau. Als Kolumnist schreibt er eigenen Angaben zufolge auch noch regelmäßig für die Münchner Abendzeitung und den Berliner Tagesspiegel.

Auszeichnungen:

  1. 2006 - Ernst-Schneider-Preis für herausragenden Wirtschafts-Journalismus
  2. 2011 - Netzjournalist des Jahres
  3. 2011 - Journalist des Jahres in der Kategorie Newcomer

Wir können also davon ausgehen, daß dieser Mann sein Handwerk versteht und genau weiß, was er tut, wenn er uns alle mit Lobbyplag konfrontiert. Übrigens verdankt Lobbyplag seine Geburt dem Wiener Studenten und Datenschutz-Aktivisten Max Schrems, dem bei verschiedenen EU-Dokumenten 1:1 Kopien aus Lobbypapieren aufgefallen waren. Daraufhin setzte er sich mit Gutjahr in Verbindung und machte ihn auf die kopierten Passagen aufmerksam. Gutjahr wiederum kontaktierte seine Kollegen von OpenDataCity und gemeinsam recherchierten sie sehr intensiv in dieser Richtung. Das war der Beginn von Lobbyplag.

Unter anderem fanden sie recht schnell heraus, wie groß der Einfluß der Lobbyisten auf das EU-Parlament wirklich ist. Ganze Absätze aus den Lobbypapieren von Amazon, Facebook, Google, der Schufa, vom Europäischen Bankenverband EBF und Ebay fanden sich zum Beispiel in unveränderter Form in den Anträgen der EU-Parlamentarier.

Nehmen wir die EU-Datenschutzreform. Die alten Datenschutzregeln von 1995 passen nicht mehr in die heutige Zeit. Die EU möchte sie modernisieren und an das Heute anpassen. EU- Justizkommissarin Viviane Reding legte dafür im Januar 2012 einen entsprechenden Vorschlag vor. Es geht dabei um die Korrektur oder Löschung der eigenen Daten von Usern. Deren Rechte sollen gestärkt werden. Dabei sollen die Anbieter - soziale Netzwerke, Suchmaschinen ect. - per Gesetz verpflichtet werden, die Einwilligung der User einzuholen, bevor sie deren Daten verarbeiten. Ihr Vorschlag war gut und zielte in die richtige Richtung. Aber sofort begann sich der Einfluß der Lobbyisten auf das Papier auszuwirken.

"Viel von Verbraucherschutz blieb da nicht mehr in dem Text übrig"
äußert sich netzpolitik.org. Dabei bezieht sich dieser Blog auf die Einflussnahme durch die Großkonzerne.

"Die IT-Giganten probieren derzeit unser Grundrecht auf Datenschutz wegzulobbyieren. Schon vor der Veröffentlichung des ersten Entwurfs hat sich in Brüssel ein Tross an Lobbyisten in Stellung gebracht. Großteils handelt es sich dabei um die Giganten der IT-Industrie aus den USA."
so kommt es aus der Ecke des Studenten Max Schrems. Sie üben Kritik daran, daß die neue Verordnung statt User zu schützen, sie noch mehr der Willkür der IT-Branche aussetzt.

Interessant ist hierbei, daß aus dem Papier Passagen gestrichen wurden, die zuvor Ebay und Google bemängelt hatten. Ein starkes Indiz dafür, daß die Lobbyisten sich den Parlamentariern gegenüber durchgesetzt haben. An anderer Stelle sind Formulierungen wörtlich aus den Lobbypapieren von EuroISPA (Mitglieder sind u.a. Google, Facebook, Microsoft und die US- Kammer für den EU-Handel) übernommen worden.

Javier Caceres, einem Journalisten der Süddeutschen Zeitung wurde von mehreren EU-Abgeordneten zugetragen, daß die Lobbyisten in noch nie dagewesenem Ausmaß Druck auf die Abgeordneten ausgeübt hätten. Was dabei betroffen macht, sind die Auswirkungen der Lobbyarbeit auf den europäischen Raum, der etwa 500 Millionen Menschen umfaßt und ihnen statt Schutz schwammige Verordnungen vorsetzt, die nur den Anbietern nutzen.

EU-Justizkommissarin Viviane Reding zu ihrem Vorschlag:
"Ich stehe hinter der Datenschutz-Initiative und möchte es noch einmal ganz klar und verständlich sagen; es darf keinerlei Abschwächungen des Dokumentes geben. Datenschutz ist ein Grundrecht in Europa, auch wenn das in anderen Teilen der Welt anders sein möge. Wenn Firmen auf dem europäischen Markt tätig sein wollen, müssen sie sich an europäische Standards halten."

Ist gut gemeint, hört sich gut an, aber die von der Lobby-Clique überrollten Parlamentarier haben es dann vorgezogen, ganze Passagen zu streichen und die Formulierungen der Lobbyisten zu übernehmen.

Das Projekt "Lobbyplag" hat bisher gute Arbeit geleistet und sehr viele plagiierte Stellen in EU-Dokumenten gefunden. Gesetzesänderungen und Vorschriften, die nun teilweise das Gegenteil vom ursprünglichen Text aussagen. Sie haben Originaltexte der Lobbyisten gefunden, die nun als Überschrift "EU" tragen. Das alles muß für Otto Normalverbraucher ziemlich beängstigend sein. Geht es hier doch auch um seine tiefste Privatsphäre, die ob der nutzlosen Datenschutzgesetze völlig schutzlos den IT-Riesen ausgeliefert ist.

Jan Philipp Albrecht, EU-Parlamentarier der Grünen, auf das "Reding-Papier" angesprochen, sagte zu Gutjahr:"Es ist eine Wunschliste der Konzerne, die keine Harmonisierung des Datenschutzes in der EU verfolgen, sondern komplette Deregulierung."

Es ist schon erstaunlich, wie eng verzahnt und wie mächtig vor allem manche Lobbyistenverbände sind. Einer der mächtigsten Verbände ist die Lobby der europäischen Lebensmittelindustrie. Sie gilt als besonders eng vernetzt. Ist ja auch kein Wunder, vor allem, wenn man weiß, daß die EU-Kommission ausgerechnet Frau Mella Frewen, die Chefin von FDE (FoodDrinkEurope – der wichtigste Verband der Lebensmittelindustrie ) als Kandidatin für den Vorstand der EU-Lebensmittelbehörde EFSA vorgeschlagen hat.

Frau Frewen war bis 2007 für „Monsanto“ tätig und dort für die guten Beziehungen zu europäischen Regierungen zuständig. Nun wissen wir auch, warum im Jahre 2006 der genetisch veränderte Mais – der übrigens ausschließlich von Monsanto in Europa vertrieben werden darf – als unbedenklich eingestuft und von der EFSA zugelassen wurde.

Zwischenzeitlich wurde der Protest gegen die Ernennung Frau Frewens aber so groß – selbst die Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner verweigerte ihre Zustimmung (hört, hört) – daß die Bewerbung der Frau Frewen abgelehnt und eine neue Ausschreibung gestartet wurde. Hier hat einmal nicht funktioniert, was sonst so glatt im Stillen abläuft.

PR-Experte Jup vant Veld bestätigte auf Anfrage, daß es üblich sei, von Lobbyverbänden geschriebene Gesetzestexte in Teilen oder komplett in die offiziellen Gesetzestexte zu übernehmen. Gutjahr selbst hat zwischenzeitlich mit vielen Abgeordneten von EU und Bundestag gesprochen. Immer wieder kamen Klagen darüber, daß zum Beispiel die US-Lobbyisten besonders aggressiv vorgehen würden. Aus diesem Grund stehen auch viele der Abgeordneten unter einem permanenten Druck, dem manche dann einfach nachgeben würden, nur um ihre Ruhe zu haben.

In einem Interview mit der Tagesschau beklagte sich Gutjahr darüber, daß Politiker, die beim Betrügen ihrer Doktorarbeit erwischt würden, zurücktreten müßten.

Wörtlich:
“Aber wenn Parlamentarier ganze Passagen von Lobbyisten in Gesetze übernehmen, passiert nichts.“

Gutjahr erklärte dem Tagesschau-Team auch, wie Lobbyplag funktioniert und wie man feststellt, welche Gesetze von den Lobbyisten übernommen wurden. Lobbypapiere werden mit EU-Dokumenten verglichen und die Übereinstimmungen auf beiden Dokumenten farbig hervorgehoben. Gleichzeitig sieht man, welche Parlamentarier diese Vorschläge eingebracht haben, da sie namentlich gekennzeichnet sind.

Inzwischen wird Gutjahr und seine Plattform mit vielen Texten aus der Lobby-Ecke versorgt. Das geht teilweise über anonyme Zusender, aber auch über andere Datenschutzorganisationen, wie beispielsweise „Le Quadrature Du Net“, deren Sitz in Frankreich ist und die regelmäßig Lobbypapiere veröffentlicht.

Nach Veröffentlichung von Lobbyplag forderten kritische Stimmen sogenannte „Crowdsourcing-Elemente“. Diese sollen auch dem einzelnen Anwender ermöglichen, sich selbst einzubringen. Gutjahr spricht hier von den Vorteilen einer „Schwarmintelligenz“.

Nina Katzemich hat zu diesem Thema an einem Buch mitgeschrieben mit dem Titel: „LobbyPlanet“. Über die Autorin läßt sich folgendes sagen;

  1. Studium der Politwissenschaften und Volkswirtschaftslehre
  2. 2003 – 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin für Irmingard Schewe-Gerigk, Parlamentarische Geschäftsführerin und Sprecherin der Frauen- und Rentenpolitik der Fraktion „Die Grünen“.
  3. Seit Mai 2009 widmet sie sich vorzugsweise dem Thema Lobbyismus in Brüssel. Zu finden ist sie im Internet unter „Lobby-Control“

Ihr Resümee: Die Lobbyisten mit dem größten Etat haben auch die größte Macht in Brüssel“

Dabei geht es keineswegs nur um Arbeitsplatzsicherung, sondern knallhart um die finanziellen Interessen der Anleger und Spekulanten.

Natürlich dürfen in diesem Zusammenhang auch Gegenstimmen nicht fehlen. Der EU-Abgeordnete Alexander Alvaro, Abgeordneter der FDP und Vizepräsident des EU-Parlaments meldet sich ebenfalls zu Wort. Für ihn ist das Projekt Lobbyplag einseitig geführt. Er verlangt mehr Objektivität von Lobbyplag. Zwar will er auch Transparenz – wie er in einem Interview bei „Zeit Online“ versichert, aber es dürfe nicht nur mit dem Finger auf die Unternehmenslobby gezeigt werden. Immerhin würden auch zivile Organisationen und Netzaktivisten ebenso großen Einfluß auf die Geschehnisse in Brüssel nehmen. Ich weiß zwar nicht, welche Drogen der Herr Alvaro nimmt, aber das ist nun geradezu grotesk. Natürlich bemühen sich auch zivile Organisationen, ihre Standpunkte in Brüssel zu Gehör zu bringen. Alvaro vergleicht hier aber Äpfel mit Birnen – was will man von einer Lobbypartei auch anderes erwarten – zivile Organisationen kämpfen meist für die Umwelt, den Datenschutz usw. Sie sind NON-Profit-Organisationen. Darf man von einem Bankkaufmann und Juristen etwas anderes erwarten?

EU-Kommissarin Nelly Kroes weist geradezu empört den Verdacht zurück, Lobbyisten hätten bei den Gesetzesvorlagen ihre Finger im Spiel. Sie ist entweder naiv, was ich persönlich nicht glaube, oder … oder was?

cornelia warnke 24.02.2013

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